Der digitale Wandel bringt eine Unmenge an Veränderung. Klingt trivial. Ist es aber nicht. Für Unternehmen ist die Veränderung in Wahrheit ein Tsunami an unzähligen Entwicklungs-, Innovations- und Neuausrichtungsprojekten. Bei vielen dieser Projekte ist nur in etwa klar, was eigentlich das Ziel sein soll – entsprechend unklar ist meist der Weg dahin. Genau hier spielen agile Planungstechniken ihren zentralen Vorteil aus. Agile Projekte zielen nicht auf einen umfassenden, detaillierten Masterplan, sondern sind ein flexibles Planungsgerüst, um im Projektverlauf auf neu entstehende Gegebenheiten eingehen zu können. Prominente Bedeutung kommt dabei dem „Wave Planning“ zu. Dabei werden Transformations-, Design- oder Umsetzungsziele in Realisierungswellen organisiert. Was heißt das konkret?
Um was genau geht es beim Wave Planning?
Wikipedia und das Project Management Institute PMI formulieren in etwa sinngemäß:
“Rolling-wave planning is the process of project planning in waves as the project proceeds and later details become clearer … Work to be done in the near term is based on high-level assumptions; also, high-level mile-stones are set. As the project progresses, the risks, assumptions, and milestones originally identified become more defined and reliable.”
Im Kern geht es also um eine rollierende, zeitnahe Entscheidung, welche Themen und Aufgabenpakete in einem Vorhaben im nächsten Zeitfenster umgesetzt werden. Statt eines starren, komplett durchgeplanten Projektablaufs liegt der Fokus auf:
- Was ist aktuell das Sinnvollste?
- Was bringt uns im nächsten Monat den größten Nutzen?
- Wie müssen wir auf kurzfristige Entwicklungen (Ressourcensituation, Kundenfeedback o.ä.) reagieren?
Das Projekt wird sozusagen auf Sicht gefahren, die langfristige Ausrichtung ist vorhanden, wird aber über viele flexible Umsetzungswellen erreicht.
Wave Planning steht damit im Gegensatz bzw. zumindest in Ergänzung zur klassischen Projektplanung. Die Planung und Realisierung zentraler Vorhaben in „Waves“ bedeutet u.a., dass in besonderem Maße Stakeholder eingebunden werden, dass Planungsannahmen definiert und permanent aktualisiert werden und insbesondere, dass anspruchsvolle große Ziele (mit der ganzen Komplexität, die damit verbunden ist) in handliche Teile zerlegt werden.
Stellen Sie sich vor, ein mittelständischer Anlagenbauer möchte neben seinem Kerngeschäft nun:
- erstens neue digitale Geschäftsmodelle etablieren,
- zweitens eine neue Plattform im Markt platzieren und
- drittens zudem entsprechende After-Sales-Services als neue Zusatzerlöse realisieren.
Früher hätte man diese Themen über ein bis zwei Jahre konzeptionell ausgearbeitet und dann im großen Stil den Rollout gestartet. Heute ist es aber wesentlich adäquater, diese drei Ziele vom Endkunden her zu denken, dessen Nutzen zu definieren, viele neue Ideen zu sammeln, verschiedene Technologien auszuprobieren und nur in jeweils kleinen Schritten Etappenziele umzusetzen (Waves).
Das Beispiel zeigt drei verschiedene Projekte einer Initiative, die in dem (typischen) Fall auf viele gemeinsame Ressourcen zugreifen wollen. Während das agile Management innerhalb eines Projektes schon länger diskutiert wird, möchte ich hier vor allem den Fokus auf das agile Management zwischen Projekten richten. In dem Moment kommt den Führungskräften eine besondere Aufgabe zu. Viele meiner Gesprächspartner, viele unserer Kunden, wie der erwähnte mittelständische Anlagenbauer, streben eine agile Organisation an. Sie wird als entscheidender Faktor in der Reaktion auf veränderte Märkte gesehen. Agilität nicht nur in Projekten, sondern agiles Führen von und zwischen Projekten ist dabei eine gute Möglichkeit zu zeigen, dass es die Führungskräfte und das ganze Unternehmen ernst meinen mit der agilen Organisation. So können – und müssen – die Entscheider selbst mit agilem Vorbild vorangehen und damit die Mitarbeiter bzw. Teams mitnehmen.
Konkret bedeutet dies, sich eine Führungs- und Organisationsstruktur zu schaffen, in der die agile Umsetzung im Vordergrund steht. So werden – per Design – die relevanten Stakeholder sehr eng eingebunden. Sie müssen in eher kurzen Abständen über Prioritäten entscheiden, über Projekt- oder Produktschwerpunkte (im Beispiel: Eine verprobte neue Plattform funktioniert nicht, wie kann man die Mitarbeiter schnell auf andere Projekte bringen – allerdings für nur kurze Zeit?). Dies allein führt schon dazu, dass ein kontinuierlicher Austausch zu den geplanten Veränderungen entsteht. Wave Planning ist Change Management. Die Führungskräfte entfernen sich vom täglichen Doing, sind aber wesentlich näher an den Entwicklungen und Veränderungen.
Daneben hat sich bewährt, die Entscheider in sog. Wave Steering Committees zu organisieren. Diese entscheiden in eher kurzen Abständen (zum Beispiel alle zwei Wochen) über Ausrichtungen und Prioritäten sowie über die Verteilung von finanziellen und personellen Mitteln. Damit ist eine schnelle Lösung von unerwartet aufgetretenen Ressourcenkonflikten verbunden bzw. wenn zugesicherte Mitarbeiter für den nächsten geplanten Projektabschnitt (Wave) doch nicht zur Verfügung stehen – der mittelständische Anlagenbauer kommt so viel schneller zu Ergebnissen. Wenn auch vielleicht erst mal an anderen Stellen als gedacht.
Wie komme ich zum Ziel und welche Voraussetzungen müssen beachtet werden?
Damit der Wave Planning-Ansatz seine Stärke entfalten kann, achten Sie auf diese Erfolgsfaktoren:
Nicht jedes Vorhaben eignet sich bzw. passt gut in Wellen!
Grundlagenprojekte, Bau- und Infrastrukturvorhaben sollten nicht in Wellen, sondern klassisch – als „Wasserfall“ – ablaufen. Umgekehrt eignen sich aber besonders Transformationsvorhaben, Einführung neuer Services (seien sie digital oder nicht) bzw. gar die Erweiterung des Geschäfts durch neue Geschäftsmodelle für das Wave Planning. Noch mal interessanter wird es, wenn mehrere dieser Großvorhaben das Unternehmen gleichzeitig beschäftigen. Dann wird es nämlich absehbar zu Ressourcenkonflikten, also Gerangel um die gleichen, von verschiedenen Projekten begehrten Mitarbeiter kommen. Es entstehen Diskussionen, auf welche der Projekte bzw. in welchem Umfang bestehende Budgets verteilt werden. In diesem Fall kann durch Wave Planning schnell zwischen Projekten entschieden werden, zum Beispiel wenn in einem Projekt Störungen auftreten (Technologie noch nicht verfügbar, Genehmigungen stehen aus, ein Lieferant fällt aus o.ä.).
Schaffen Sie divers-heterogene Teams!
Zum Wave Planning gehören dedizierte Planungsteams, die mit Mitarbeitern aus sehr unterschiedlichen Bereichen und Erfahrungsbereichen besetzt werden sollen. Am besten kommen diese Mitarbeiter aus ganz verschiedenen Business Units, anderen Programmen, anderen Standorten. Die Planungsteams verbinden Planung mit Stakeholder und Management Alignment und veranlassen frühzeitige Richtungs- und Prioritätsentscheidungen. Fachlich sollten Kundenkenntnisse, Expertise in Customer Journey/ Customer Experience, Analytics und IT zusammenkommen, um – aus Kundensicht – in ganzheitlichen Lösungen zu denken.
Frühzeitig potenzielle Wave Leads nominieren!
Die einzelnen Umsetzungswellen brauchen einen dedizierten, eigenen Kopf, jemand, der mit Energie und Fachkenntnis das Etappenziel vorantreibt – solche Kandidaten sind besonders begehrte Ressourcen, sichern Sie sich diese!
Schichten Sie permanent zwischen Scope und Backlog um: am Anfang und dann immer wieder – es wird gesammelt!
Alle Ideen + alles, was Sie tun möchten + alles, was aus Sicht der Mitarbeiter getan werden soll, findet seinen Weg in das Backlog, den zentralen Arbeitsspeicher des Vorhabens. Aber alles wird dann auch streng priorisiert – nur wenige Inhalte schaffen es aus dem Backlog in den jeweiligen Scope; eine Welle umfasst dann genau die Umsetzung des jeweiligen Scopes. Auch wenn das Wave Planning vor allem die kurzfristige Bereitstellung von Ergebnissen anstrebt – Ihr Speicher für zukünftige Aufgaben sollte mindestens sechs Monate in die Zukunft reichen.
Legen Sie Eckpunkte für jede Wave fest!
Ausgangspunkt einer Wave sind bestimmte Initiativen ausgehend von der Customer Journey (Beispiel oben: Wie kann unser Anlagenbauer den Bestellprozess über die neue Plattform vereinfachen und das Kundenerlebnis steigern?). Für die ausgewählte Initiative – als Abschnitt der Customer Journey – wird ein Business Case ermittelt: Was bringt das Ganze (mehr Bestellungen, größere Bestellumfänge) und welche Initiative bringt den größten Nutzen für den Kunden bzw. den größten Wert für das Unternehmen (zusätzliche Umsätze)? Das Budget bildet dabei die Vorgabe, den Rahmen für die weitere Planung; d.h., das Budget wird nicht aus den geplanten Aufgaben „errechnet“, sondern bereits im Vorfeld abgestimmt/entschieden. Das Budget ist der Start- und nicht der Endpunkt der Planung.