26.10.2020

Prägende Momente, die in Erinnerung bleiben

Wie Organisationen ihre Mitarbeiterbindung aufleben lassen.

Erinnern Sie sich noch an das letzte Mal, als Sie endorphinbeschwipst nach Hause gestürmt sind, um Ihrer besseren Hälfte von einem besonderen Moment auf der Arbeit zu erzählen, der Sie wirklich bewegt hat? Wenn die Antwort nein lautet, heisst das nicht, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt, dies ergeht vielen Menschen so. In den letzten Jahren haben wir uns mit Tausenden von Angestellten ausgetauscht und dabei festgestellt, dass viele von ihnen sich innerlich schon von ihrem Arbeitgeber gelöst und die emotionale Verbindung zu ihrer Arbeit verloren haben. Unsere Gespräche haben sogar gezeigt, dass sich viele Angestellte bereits mit der Tatsache abgefunden haben, dass ihre Arbeit monoton ist. 

Es gibt einen guten Grund dafür, warum wir uns nicht an jedes Detail der acht bis zehn Stunden erinnern, die wir fast täglich im Büro verbringen. Um uns bei geistiger Gesundheit zu halten, erfasst und speichert unser selektives Gedächtnis primär die wichtigen und symbolträchtigen Momente, die für uns bedeutsamer sind als andere. Dieses Spektrum an Augenblicken reicht vom ersten bis zum letzten Eindruck in guten wie in schlechten Zeiten. Was uns Auftrieb gibt, ist das Gefühl einer gemeinsamen Erfahrung. Deshalb ist es wirklich erstaunlich, dass wir nach Jahrzehnten der Arbeit in verschiedenen Unternehmen weniger prägende Momente gesammelt haben als in den überschaubaren Jahren, die wir in Vereinen in der Jugend verbracht haben. Was war denn so Besonderes an dem Lagerfeuer 1992 – einer einfachen exothermen Reaktion nach einem langen Tag im Freien –, dass es für uns noch heute mit einem bestimmten Gefühl verknüpft ist und unser Verhalten nachhaltig geprägt hat?

Wo aber liegt das Problem?

Diesen Beitrag schreiben wir, weil sich viele Unternehmen trotz grosser Investitionen in formelle Mitarbeitermotivationsprogramme schwer damit tun, eine starke emotionale Bindung zu ihren Mitarbeitenden aufzubauen. Der Grund dafür könnte sein, dass die Schaffung besonderer Momente ihrer Ansicht nach wie die Entwicklung von (HR-)Prozessen von der Bewerberauswahl bis hin zum Renteneintritt funktioniert. Wir denken dagegen, dass öffentliches Lob, Firmenessen, Begrüssungs- und Abschiedsveranstaltungen, Betriebsausflüge oder ein Treffen mit Führungskräften für die Mitarbeiterbindung weniger wichtig sein könnten als allgemein angenommen. Selbst prominente Technologieunternehmen leiden oft unter einem ernsthaften Mitarbeiterschwund und das, obwohl sie sich nun wirklich sehr viel Mühe geben. Sie bieten ihren Angestellten unglaubliche Leistungsanreize, wie etwa kostenfreies Essen, Fitnessstudios und sogar Wäschereien vor Ort. Neben attraktiven Angeboten fördern sie zudem die Interaktion ihrer Belegschaft durch ein Kreativzentrum, welches im Design fast einem Raumschiff ähnelt. 

Noch komplexer wird das Problem aber, weil durch den technologischen und betrieblichen Fortschritt die persönliche Komponente der Arbeit immer mehr in den Hintergrund rückt. Im Zuge gross angelegter Digitalisierungsprojekte werden Teile des Unternehmens langsam, aber sicher durch Technologien ersetzt, und bewährte Formen des persönlichen Austauschs (wie zum Beispiel an der Kaffeemaschine) weichen der Massenkommunikation. Der Alltag vieler Angestellter wird verstärkt durch ein Endgerät bestimmt, mit dem sie ohnehin schon zu viel Zeit verbringen. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie würden die jungen Leute von heute in ein digitales Ferienlager schicken. Dort würden sie tagelang auf ihrem Zimmer bleiben, auf ein virtuelles Lagerfeuer starren, mit Click & Drag Knotentechniken lernen, die Geheimnisse des Waldes mit Hilfe von Videos erkunden und ihren Kenntnisstand in Multiple-Choice-Tests prüfen, während draussen die Sonne scheint. Was sie dabei lernen und erleben, wird sich sicher erheblich von dem unterscheiden, was Sie damals gelernt und erlebt haben.

Einige Denkanstösse für den Anfang

Auf der Suche nach Wegen und Lösungen stellen wir überrascht fest, dass viele Menschen jeden Morgen Teile ihres wahren Ichs wie einen Mantel an der Firmengarderobe abgeben und abends wieder abholen. Von einer Sekunde zur nächsten legen wir Teile unserer Persönlichkeit auf Eis, die uns in unserem Privatleben zu bemerkenswerten Menschen machen. Freundschaftliche Gesten, die uns nach Feierabend ohne nachzudenken gelingen, müssen wir in unserem Büroalltag erst wieder neu lernen und erfinden. Dabei haben wir doch alle schon das in die Wiege gelegt bekommen, was wir brauchen, um andere an einem prägenden Moment teilhaben zu lassen und selbst zu erkennen, wie unglaublich viele solcher Augenblicke es gibt. Wenn Sie zum Beispiel nach einer Inspirationsquelle für die Planung und Inszenierung eines natürlichen und selbstverständlich rein zufälligen Moments suchen, müssen Sie sich nur einmal Ihre Grosseltern vor Augen halten – sie sind wahre Meister prägender Momente. Diese erfahrenen und bescheidenen Spezialisten sind es, die einen Apfel, eine Geschichte, ein Bild oder einen Spaziergang im Park zu etwas machen, das uns vor Lachen die Tränen in die Augen treibt oder wirklich tief berührt – ohne etwas dafür im Gegenzug zu verlangen. Ohne grosses Aufsehen heben sie einen Moment unseres Lebens ins Rampenlicht, der uns so sehr ans Herz wachsen wird, dass wir ihn fest in Erinnerung behalten, um ihn dann irgendwann an die nächste Generation weiterzugeben, die ihn im Herzen weitertragen wird.

Was lernen wir also: Prägende Momente sind persönlich und nie formell. Sie verbinden zwei oder mehr Menschen miteinander. Hausgemachter Kuchen ist charmanter als eine perfekte Torte. Solche Augenblicke zu schaffen, kann nie an HR oder Dritte delegiert werden. Tun Sie etwas, das niemand erwartet hätte. Schreiben Sie etwas mit der Hand. Trauen Sie sich, spontan zu sein, und machen Sie es bitte auf Ihre ganz persönliche Weise. Verlangen Sie keine Gegenleistung, vergessen Sie den Materialwert, und vor allem: Tun Sie es selbst. Und wenn Sie der Meinung sind, dass das gerade passt und zum Ziel führen würde, können Sie auch gern ein Lied (davon) singen. Ziehen Sie kleinere Gruppen Massenveranstaltungen vor, lassen Sie mehr Raum für eigene Ideen. Bitte hören Sie auf, Mitarbeiter oder Manager auf der Bühne zu ehren. Denken Sie stattdessen darüber nach, wie Sie auf einschneidende Lebensereignisse und persönliche Krisen von Angestellten reagieren können. Finden Sie Gelegenheiten, die bestätigen, wofür Ihr Unternehmen wirklich steht. 

Hier ein paar praktische Beispiele dafür:

  • Vereinbaren Sie rasch mit ein paar Mitarbeitenden, einer Kollegin oder einem Kollegen mit privaten Schwierigkeiten Rückendeckung zu geben.
  • Schenken Sie weniger leistungsstarken oder beliebten Kolleginnen oder Kollegen auch einmal Ihre Aufmerksamkeit. Gehen Sie mit ihnen Mittagessen oder bieten Sie an, sie in der weiteren Entwicklung zu begleiten – Sie könnten überrascht sein, was alles dabei herauskommt.
  • Machen Sie Ihre Begrüssungszeremonie zu etwas ganz Besonderem: Holen Sie Ihre neuen Mitarbeiter oder Kollegen schon in der Empfangshalle oder auf dem Parkplatz ab, und begleiten Sie sie zu ihrem Schreibtisch, bitten Sie enge Kollegen, ihnen im Laufe des Tages Hallo zu sagen, und halten Sie den Laptop und andere Materialien schon bereit, um Zeit für wirklich wichtige Dinge zu sparen.

Noch ein Gedanke zum Schluss

Prägende Momente kommen von Herzen – nicht von Projektbudgets oder formellen Strukturen. Vor nicht allzu langer Zeit haben wir eine Auswahl an Hamburgern und Softdrinks für die Auftaktveranstaltung des Managementprojekts eines konservativen Unternehmens bestellt, an der fünfzig Personen teilnahmen. Noch Jahre später erinnern sich die Teilnehmer an die gelungene Überraschung und die besondere Stimmung an diesem Tag. Sogar die Charaktere, die eher mürrisch oder chronisch besorgt sind, haben sich an diesem Tag etwas weniger ernst als sonst genommen. Die Bedeutsamkeit von Momenten hängt also nicht davon ab, wie viel Mühe sie machen oder wie viel Geld sie kosten. Hamburger und Softdrinks zur rechten Zeit konnten Weihnachtschampagner oder ein neues Hightech-Spielzeug noch immer um Längen schlagen. Und wenn Ihnen das alles ganz selbstverständlich erschien: Warum machen Sie es dann nicht?