04.08.2016

Definitiv nicht disruptiv. Aber das ist gut so. Aktuelle Einschätzung zu Microsofts Produktstrategie.

Vor kurzem ging in Toronto eine weltweite Konferenz zu Ende, auf der in vielen Key Notes, aber auch in zahlreichen Vorträgen in kleiner Runde die aktuelle Produktstrategie von Microsoft vorgestellt und diskutiert wurde. Die größte Überraschung kam nicht von der Produktseite selbst. Das Überraschendste an der aktuellen Microsoft-Strategie ist: Beständigkeit, Konsequenz und Vision.

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Konsistent ist zunächst die Ausrichtung „Mobile First, Cloud First“. CEO Satya Nadella machte deutlich, dass dieses Credo auch weiterhin die Geschäftsausrichtung und vor allem die (Bereitstellungs-)Prioritäten von Microsoft prägen wird. Damit lässt sich planen! Interessant wird es aber, wenn man realisiert, dass dieses Credo kein Selbstzweck ist, sondern die Produktivität des Einzelnen und die Zusammenarbeit zwischen Menschen erhöhen soll. Auf der Konferenz bekam diese Ausrichtung noch mal eine besondere Note: neu im Fokus steht der Anspruch von Microsoft, Produktivität und Geschäftsprozesse neu zu erfinden – und zwar mit einem Ziel: die Realisierung der Digitalen Transformation.

Welche Rolle spielt Microsoft in der Digitalen Transformation?

Nun hat aber auch Microsoft verstanden, dass mit diesem Schlagwort alleine recht wenig gesagt ist. Nicht zuletzt deshalb wurden vier Unterziele formuliert. Interessant ist deren Reihenfolge. Im Rahmen der Digitalen Transformation möchte Microsoft Unternehmen helfen, 

  • die Kundeninteraktion zu verstärken, 
  • die Produktivität und Selbständigkeit der Mitarbeiter zu erhöhen, 
  • Betriebsprozesse zu optimieren und 
  • Produkte zu digitalisieren bzw. zu „transformieren“. 

Und diese 4 Dimensionen sind es denn auch, aus der man die Ausrichtung für die neuen Produkte ausmachen kann:

1. Kundeninteraktion

Die neue Produktbezeichnung „Microsoft Dynamics 365“ formuliert zumindest den Anspruch, eine komplette Unternehmenslösung (ERP + CRM + Office 365) bereitzustellen. Technisch handelt es sich allerdings eher um einen ersten Integrationsschritt von zwei eigenständigen Produkten. CRM wird dabei sicher die zentrale Rolle spielen, wie Kunden von Microsoft-Kunden umfassender betreut, organisiert und analysiert werden können.

2. Produktivität und Selbständigkeit der Mitarbeiter

Traditionell und kurzfristig wird der Schwerpunkt auf neuen Services liegen, die die Produktivität und Organisation der Mitarbeiter steigern sollen. Interessant ist der neue, umfassende Anspruch: ausgehend von einem personen- und rollenorientierten Design sollen Mitarbeiter so stark wie möglich von Routineaufgaben befreit oder zumindest entlastet werden. Was früher eigene Makros in Excel waren (die nicht selten zu ernsthaften Geschäftsanwendungen wurden), sind es zukünftig „Composable Business Apps“, die schnell und verhältnismäßig leicht zusammengeklickt werden können. Sie kombinieren unterschiedlichste Services wie PowerBI und sogar einfache Integrationsmöglichkeiten auf Basis der neuen Komponente „Flow“ (Integration praktisch per Self Service). Das eigene Arbeitsverhalten lässt sich dann im Weiteren über „Delve Analytics“ auswerten und optimieren.

Zudem gerät die Vernetzung von Personen bzw. Kollegen und deren Arbeitsergebnissen (Dokumente) immer mehr in den Vordergrund. Der Office Graph (z.B. mit Delve als Benutzeroberfläche) soll dafür die zentrale Navigation liefern. Zur Vision der umfassenden Entlastung gehört auch die zunehmende Bedeutung des persönlichen Assistenten Cortana als Sprachdienst bzw. Sprachsteuerung. Dieser soll schnell vereinfacht werden, mittelfristig möchte Microsoft so viele Standarddialoge wie möglich (insbesondere zur Steuerung von Anwendungen) durch Automatisierung ersetzen. Dabei ist die Sprachsteuerung nur der Einstieg, das Machine Learning im Hintergrund ist der eigentliche Zukunftsmotor (Cortana Intelligence Suite). Um dem Ausdruck zu verleihen, werden bereits mehr als 30 Schnittstellen / API zu Cortana bereitgestellt.

3. Betriebsprozesse optimieren

Die Strategie zu Betriebsprozessen ist eng verbunden mit den gerade genannten Lösungen zur Organisation der Mitarbeiter bzw. zur Social Collaboration. Die Optimierung von Geschäftsprozessen erfährt eine regelrechte Renaissance, Microsoft spricht von „It requires us to reinvent business processes taking both a people-centric and platform-centric approach”. Auch hier dürfte der Integration eine zentrale Rolle zukommen. Einfach realisierte Integrationen über verschiedenste Anwendungen - und wohl auch über Plattformen hinweg - sollen dem Anwender eine möglichst durchgängige Umgebung zur Bearbeitung seiner Geschäftsprozesse ermöglichen. Hinzu kommt der bereits erwähnte Anspruch, Standarddialoge durch Automatisierung abzulösen.

4. Digitalisieren bzw. „transformieren“ von Produkten

Spannend wird zum Schluss, in welchem Umfang es gelingen wird, auch (physische) Produkte zu digitalisieren. Diesen Schritt will Microsoft insbesondere mit der Azure IoT Suite machen. Neben der Verbindung der Produkte geht es zum Beispiel um Möglichkeiten der Predictive Maintenance, gerne unterstützt bzw. visualisiert oder virtualisiert über die Datenbrille Holo Lens (Microsoft spricht von „Mixed Reality“). Insbesondere ein Kunde fasste das Anliegen gut zusammen: Auf der Konferenz sprach der CEO von GE von der „marriage between analytics and physics - each of our products will have a digital twin”.

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Fazit

Viele der beschriebenen Lösungen sind sicher noch in einem frühen Stadium. Einige davon werfen auch Fragen auf:

  • Wie werden Großunternehmen mit den Szenarien umgehen?
  • Wird es wirklich, wie von Microsoft gewünscht, signifikante Branchenlösungen geben?
  • Was bedeutet es, wenn Microsoft von „Conversation as a platform“ spricht?

 

Aber die aktuelle Entscheiderebene von Microsoft setzt aus Sicht von Campana & Schott in der Tat auf Beständigkeit und Konsequenz. Auf das schrittweise Liefern. Und die formulierte Vision liefert für Kunden und Anwender eine planbare Grundlage, was von Microsoft langfristig zu erwarten sein wird. Das ist in den meisten Fällen zwar nicht disruptiv...aber ziemlich gut.