Best Practice

SAP S/4HANA: Zu groß für das Rechenzentrum?

04.03.2020

On-Premises oder Cloud: So finden Unternehmen das optimale Betriebsmodell in sechs Schritten.

Die neue SAP-Version stellt hohe Anforderungen an die IT. Von Beginn an müssen sich Unternehmen vor der S/4HANA-Migration für das passende Betriebsmodell entscheiden: On-Premises oder Cloud? Nur dann können sie die ideale Kombination aus Stabilität, Sicherheit und Performance sowie Kosteneffizienz, Skalierbarkeit und Flexibilität erreichen.

IT-Administratoren kennen die Problematik: Immer mehr Daten und Workflows führen zu immer weiteren Server-Schränken, die irgendwann im eigenen Rechenzentrum des Unternehmens keinen Platz mehr haben.

In puncto Ressourcenverbrauch war SAP schon immer sehr anspruchsvoll. Mit der In-Memory-Datenbank SAP S/4HANA steigen die Anforderungen nochmals an. Häufig ist das aktuelle Rechenzentrum damit überfordert. Zudem stellt sich für viele Unternehmen die Frage, ob sie heute noch in das Rechenzentrum investieren sollen, da die „Cloud“ allgegenwärtig ist.

Gerade deshalb sollten sie einen Blick auf die vielfältigen Alternativen werfen:

Alternativen zum eigenen Rechenzentrum

Colocation/Housing Provider

Bereitstellung von Racks für den Server-Betrieb sowie das Management der Basis-Infrastruktur (beispielsweise ausfallsichere Stromversorgung, Kühlung, Brandschutz, WAN-Anbindung etc.). Das Unternehmen muss den gesamten Server-Betrieb selbst übernehmen.

Private Cloud Provider

Betrieb der Server-Umgebung und SAP-Basisbetrieb werden an einen Private Cloud Provider ausgelagert. Die Kosten werden dadurch transparenter, da keine Investitionen anfallen, sondern ein Managed Service bezogen wird (Shift von Investitionskosten zu Betriebskosten). Individuelle Anpassungen sind möglich – allerdings zu gewissen Kosten.

Public Cloud Provider (Managed/Unmanaged)

Public Cloud ist eine hochskalierbare Lösung und je nach Betriebsmodell auch sehr kosteneffizient. Darüber hinaus bietet diese Lösung eingeschränkteren Zugriff und weniger Individualisierungsmöglichkeiten als die Private Cloud.

Hybride Umgebungen aus Public und Private Cloud

Kombination aus beiden Welten, um die jeweiligen Vorteile zu nutzen. Dabei sollte die IT jedoch den erhöhten Planungsbedarf und Betriebsaufwand für die verschiedenen Betriebsumgebungen berücksichtigen.

SaaS-, IaaS- und PaaS-Lösungen

Cloud-Angebote lassen sich je nach Bedarf auf Basis von Software, Infrastruktur oder Platform as a Service nutzen.

Viele Unternehmen möchten grundsätzlich ihre SAP-Workflows in die Cloud auslagern. Doch die Evaluierung der Handlungsoptionen und Cloud-Anbieter stellt sie vor große Herausforderungen. Mit der geeigneten Vorgehensweise können sie das optimale Betriebsmodell finden.

Sechs Schritten zum optimalen Betriebsmodell

Schritt 1: Sich den Herausforderungen stellen

Tatsächlich gibt es in Unternehmen viele Punkte, die das Ermitteln und Umsetzen der optimalen Lösung erschweren. So sind SAP-Projekte meist komplex und langwierig, da die Systeme von zahlreichen Anwendungen und Abteilungen genutzt werden. Viele neue und volatile Anforderungen führen zu Herausforderungen, insbesondere bei der langen Projektlaufzeit von in der Regel mindestens drei Jahren. Starkes Customizing erzeugt häufig unterschätzte Aufwände, da bestehende Anpassungen in der neuen Version nicht mehr unterstützt werden. Zudem drohen mangelnde Akzeptanz des Business und der User durch unzureichende Kommunikation und Change Management bezüglich der veränderten Geschäftsprozesse und Abläufe.

Diese Komplexität kann zu einem Scheitern von SAP-Projekten führen. Abwarten ist aber keine Option. Denn der reguläre Support für das klassische SAP ERP läuft voraussichtlich im Jahr 2027 aus. Dies hört sich im ersten Moment nach viel Zeit an, doch bei einem durchaus komplexen Projekt wie die SAP-Migration ist sie schnell vorbei. Daher müssen Unternehmen jetzt handeln und zumindest die grundlegende Entscheidung für das Betriebsmodell treffen. Mit dem richtigen Vorgehen und der optimalen Entscheidung kann die IT-Abteilung hier unternehmensweit wertvolle Pluspunkte sammeln.

Schritt 2: Ziele und Arbeitsprozesse festlegen

Für die richtige Entscheidung sind vielfältige Faktoren zu berücksichtigen. Die wohl wichtigste und zentrale Prämisse ist dabei, das SAP-Betriebsmodell nicht losgelöst von der restlichen IT zu betrachten, sondern in eine Gesamtarchitektur einzubetten. Weitere Punkte sind das Heben möglicher Synergien und Vermeiden von Doppelkosten, die etwa durch den redundanten Betrieb und die Lizenzierung mehrerer Betriebsumgebungen und Plattformen entstehen. Ebenfalls ist es wichtig, die Komplexität in der IT-Landschaft möglichst gering zu halten.

Daher ist ein Target Operating Model zu definieren. Darunter versteht man die Zielstruktur für die Arbeitsprozesse eines Unternehmens, um eine optimale Unterstützung der Geschäftsmodelle zu erreichen. Sie umfasst unter anderem Services, Eigenfertigungstiefe, Prozesse, Organisation, Rollen, Kompetenzen und Fähigkeiten. Das Modell sollte eine geeignete Kombination von „Landing Zones“ (On-Premises-Rechenzentrum, Private Cloud und Managed Public Cloud) für die Bereitstellung aller IT-Services bieten. Dazu sind die nachfolgenden Aspekte genauer zu betrachten.

Schritt 3: Strategie und Governance prüfen

Bei der strategischen Ausrichtung des Unternehmens spielen Wachstumsziele eine wichtige Rolle. Je ehrgeiziger diese sind, desto eher bieten sich schnell und flexibel skalierbare Cloud-Lösungen an. Auf diese Weise lassen sich je nach Bedarf weltweit kurzfristig neue Ressourcen nutzen – und wieder entfernen. Ein wichtiger Punkt sind natürlich auch Kosten. Hier müssen Unternehmen genau die zu erwartenden Gesamtausgaben für die verschiedenen Betriebsmodelle kalkulieren. Bei der On-Premises-Bereitstellung werden häufig Investitionskosten für Erweiterungen und Aktualisierungen sowie der Aufwand für das laufende IT-Management unterschätzt. Mit der Cloud lassen sich zwar Investitions- in Betriebskosten umwandeln, doch hier lauern Gefahren wie Vendor-Lockin und damit unverhältnismäßig steigende Ausgaben.

Ein weiteres zentrales Ziel bildet die Betriebsstabilität. Diese können Unternehmen mit redundanten On-Premises- oder Cloud-Rechenzentren erreichen. In jedem Fall ist eine Landing Zone mit sehr hoher Verfügbarkeit oder eine Mischung aus mehreren Landing Zones nötig. Dabei sollten Unternehmen im ersten Schritt prüfen, welche Provider und Landing Zones bereits oder demnächst genutzt werden, welche Synergien möglich sind sowie welche Strukturen für Multi-Provider-Management existieren und funktionieren. Zudem sind die allgemeinen Strategien in Bezug auf Single Provider/Best of Breed oder Infrastrukturbezug/Managed Service sowie die IT- und Cloud-Strategien zu berücksichtigen.

Schritt 4: Infrastruktur und Architektur analysieren

Im Bereich Infrastruktur sollten Unternehmen zunächst analysieren, ob die bestehende Rechenzentrums-Infrastruktur eine passende Option für den Betrieb von SAP S/4HANA ist. Kann sie die notwendige Kapazität für die Bereitstellung bieten? Lässt sich ein weltweit verteilter Betrieb mit den erforderlichen Latenzzeiten gewährleisten? Werden die Anforderungen für Hochverfügbarkeit durch ausreichende Redundanz sowie Remote Survivability erfüllt? Sind Support und Betrieb rund um die Uhr möglich?

Bei den notwendigen Schnittstellen der Business-Anwendungen mit SAP S/4HANA ist zu prüfen, ob diese auf etablierten Standards basieren. Nicht standardgemäße Schnittstellen können zu erheblichen Problemen in der Public Cloud führen. Auch durch hohen eingehenden und ausgehenden Datenverkehr entstehen bei einer Public-Cloud-Lösung möglicherweise höhere Betriebskosten als angenommen.

Dagegen ermöglicht eine hohe Fluktuation des Workloads die Nutzung von Kostenvorteilen durch Public Clouds, da kein Aufwand für Skalierungen und Anpassungen im eigenen Rechenzentrum erforderlich ist. Wenn die Architektur stark auf Microsoft-Produkte setzt, bietet Azure im Vergleich zu anderen Public Clouds oft Vorteile durch eine einheitliche Authentifizierung sowie reibungslosere Integration in die Gesamtarchitektur.

Fällt die Entscheidung zugunsten einer Cloud-Lösung, ist das richtige Bezugsmodell zu klären.

Schritt 5: Organisation und Betrieb sicherstellen

Unternehmen sollten auch klären, ob ihr Reifegrad für das IT-Service-Management ausreicht, um SAP S/4HANA effektiv und effizient bereitzustellen. Denn sie müssen sowohl die Anforderungen für Business Continuity und Disaster Recovery in Bezug auf Kritikalität erfüllen als auch die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen umsetzen. Besitzen die Mitarbeiter eine dafür ausreichende Qualifizierung – insbesondere für S/4HANA und Cloud? Gibt es genügend Experten, um während des Übergangs einen parallelen Betrieb von alter und neuer SAP-Version zu gewährleisten? Oder erhalten Unternehmen bei Bedarf die nötigen Spezialisten am Arbeitsmarkt in ausreichender Qualität und zu akzeptablen Gehältern?

Zudem ist zu prüfen, ob die nötigen Fähigkeiten im Projektmanagement in ausreichender Kapazität vorhanden sind, um ein großes Projekt wie die Migration auf SAP S/4HANA zuverlässig durchzuführen. Alternativ lässt sich die Lösung als Managed Service über SaaS oder eine Managed Public/Private Cloud beziehen. Den Unternehmen sollte dabei jedoch klar sein, dass HANA insgesamt weniger Anpassungsmöglichkeiten bietet als die Vorgängerversionen. Entsprechend müssen sie ihre Organisationsstrukturen und Prozesse stärker an die vorgegebenen Funktionen von SAP S/4HANA angleichen.

Schritt 6: Compliance beachten

Insbesondere beim Einsatz einer Public Cloud besitzt das Thema Compliance eine hohe Priorität. Hier sind regulatorische Auflagen, regionale Einschränkungen und die jeweils gültigen Datenschutz-Gesetze zu beachten. Die entsprechenden Anforderungen lassen sich nicht immer mit einer Public Cloud uneingeschränkt erfüllen. Das kann sogar ein echtes Ausschlusskriterium für dieses Betriebsmodell sein.

Auch der Schutz sensibler und kritischer Unternehmensdaten spielt eine wichtige Rolle. Werden entsprechende Daten in der Public Cloud gespeichert, sind sie auf geeignete Weise abzusichern. So ist mit dem Provider abzuklären, welche Maßnahmen er dafür einsetzt und wer für welchen Security-Bereich verantwortlich ist.

Schließlich sollte auch die Gefahr eines Vendor-Lockins adressiert werden. Dieser kann nicht nur zu überhöhten Preisen oder schlechteren Support führen, sondern auch zu erheblichen Problemen, falls der Provider eines Tages insolvent ist oder von einem anderen übernommen wird. Da SAP-Systeme in der Regel langfristig genutzt werden, muss eine reibungslose Daten-Migration gewährleistet sein.

Unterschiedliche Cloud-Bezugsmodelle für SAP S/4HANA

SaaS

SaaS über die SAP S/4HANA-Cloud bietet den Vorteil, dass SAP den Betrieb der nötigen Hard- und Software sowie den Support übernimmt. Für den Kunden reduziert sich der Aufwand entsprechend, sodass nur eine kleine Betriebsmannschaft erforderlich ist. Die zum Teil deutliche Senkung der Gesamtkosten wird aber durch ein eingeschränktes Customizing erkauft. So muss das Unternehmen klären, ob die starke Standardisierung überhaupt eine Option darstellt. Zudem ist der Betrieb durch SAP mit hohen Lizenz- und Betriebskosten verbunden. Dafür erhalten Unternehmen einen reibungslosen Betrieb.

IaaS

IaaS bietet einen optimalen Zugriff auf SAP S/4HANA-Systeme und die Möglichkeit für starke individuelle Anpassungen. Allerdings ist dafür eine größere Betriebsmannschaft erforderlich. Hier kann Private Cloud oder Eigenbetrieb kosteneffizienter sein.

PaaS

PaaS ermöglicht die Entwicklung von Applikationen, zum Beispiel über die SAP Cloud Platform. Damit lassen sich On-Premises- und Cloud-basierte Anwendungen von SAP S/4HANA und SAP Business Suite mit SaaS-Lösungen verbinden. Dies bietet auf den ersten Blick eine optimale Balance aus Vor- und Nachteilen. Doch die Infrastruktur-Bereitstellung ist in der Regel der geringste Aufwand, sodass trotzdem eine große Betriebsmannschaft erforderlich ist. Zudem bringt dieser Ansatz meist wenig Kostenvorteile.

Hybrid Cloud

Hybrid Cloud-Lösungen stellen geschäftskritische Kernprozesse On-Premises sowie weniger kritische Prozesse in der Cloud bereit. Damit können Unternehmen operative und projektbedingte Aufwände sparen. Allerdings sind die genutzten Schnittstellen sowie mögliches Doppelmanagement und Limitierungen genau zu prüfen.

SAP4/HANA

Fazit

Da SAP-Systeme für Unternehmen äußerst geschäftskritisch sind, müssen die unterschiedlichsten Faktoren bei der Migration auf S/4HANA berücksichtigt werden. Die Entscheidung für die genutzte Lösung darf dabei nicht leichtfertig fallen. In der Praxis legen sich Unternehmen häufig schon vorab auf SaaS und Public Cloud fest, ohne die Alternativen ausreichend zu prüfen oder sich den Auswirkungen bewusst zu sein. Doch trotz mancher Marketing-Aussagen von Cloud-Providern erfüllen deren Systeme nicht alle Anforderungen und in bestimmten Szenarien können die Kosten explodieren. So ist eine detaillierte Betrachtung aller Business-Anforderungen zwingend erforderlich. Durch die Wahl des geeigneten Betriebsmodells und dessen Integration in die Gesamt-IT-Architektur lassen sich nicht nur die betrieblichen Risiken deutlich reduzieren, sondern auch Synergien nutzen. Dadurch wird die IT zukunftsfähig und kann als Wachstumstreiber für das Business agieren.