Best Practice

Von digitaler Arbeit zur digitalen Gestaltung

12.11.2020

So erhalten Unternehmen die Business Apps, die sie wirklich brauchen.

Immer mehr Mitarbeitende erwarten, dass sie beruflich auf ebenso einfache, praktische Apps zugreifen können wie auf ihren privaten Devices. Neue Plattformen –  wie wir sie hier vorgestellt haben –  ermöglichen es, individuelle Anwendungen einfach selbst zu basteln. Damit kein Wildwuchs entsteht, sind jedoch einige Punkte zu beachten.
 
Ein Lagerist ist auf dem Weg zur Arbeit. Der tolle Sonnenaufgang wird direkt festgehalten und auf Instagram hochgeladen. Am Arbeitsplatz angekommen: Die erste Lieferung enthält einige kaputte Teile. Dies muss korrekt dokumentiert werden: handschriftlich ein Papier-Formular ausfüllen, Kamera aus dem Büro holen, ein Foto schiessen. Anschliessend das Foto per USB übertragen und per E-Mail an die zuständigen Kolleginnen und Kollegen schicken. Das ausgefüllte Formular versendet man noch klassisch per Hauspost. Auf eine Bestätigung oder Feedback wartet man dann mehrere Tage. In der Zwischenzeit: 43 Likes auf Instagram. 

Der Unterschied zwischen privaten Apps und herkömmlichen beruflichen Prozessen wird immer grösser. Kein Wunder, dass die Mitarbeitenden in Fachbereichen zunehmend auf neue Lösungen drängen. Doch die IT-Abteilung bremst häufig, da sie vor der Einführung erst wichtige Fragen klären muss, wie DSGVO-Compliance, Prozessintegration und generelle Verantwortlichkeiten. Entsprechend mühselig und langwierig ist der Weg zu einer App.

Steigender Druck durch zunehmende Digitalisierung

Eine solche Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit löst Frustration bei allen Beteiligten aus. Und der Druck steigt im Zuge der aktuellen Corona-Situation, die zu einer stärkeren Digitalisierung vieler Arbeitsprozesse führt. Unternehmen haben diesen Kontrast zwischen modernen Apps und traditionellen Arbeitsabläufen erkannt. Doch grosse, unternehmensweite Programme wie „Enterprise Agility“, „Stärkung des Business-IT-Alignment“ oder eine „Digitalstrategie 2025“ werden häufig Top-Down konzipiert und gestartet. Das Resultat: Die Aktionen gehen oft an den konkreten Erwartungen und Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorbei und werden im Alltag nicht akzeptiert – oder brauchen schlicht viel zu lange.

Digitale Mitarbeitende hingegen wollen als digitale Gestalterinnen und Gestalter agieren und sofort praktische Lösungen einsetzen, die sie bei den täglichen Prozessen unterstützen. Damit möchten sie vor allem die Effizienz und Produktivität erhöhen. Aber häufig fehlt es dazu an Möglichkeiten oder Fähigkeiten. Dann besorgen sie sich eventuell auf eigene Faust die benötigten Anwendungen. Die Folge: unkontrollierte Schatten-IT.

Genau hier sollten Unternehmen ansetzen. Sie müssen es schaffen, die digitalen Mitarbeitenden mit Tools und Fähigkeiten auszustatten, um aus ihnen digitale Gestalterinnen und Gestalter zu machen. Dies geht mit einem Kulturwandel einher, mit Anpassungen der Organisationsformen und -abläufe sowie der Einführung eines geeigneten Toolsets wie einer Low-Code-Plattform. 

Die Vorteile einer Low-Code-Plattform

Eine Low-Code-Plattform ermöglicht die Entwicklung von Anwendungen mit Hilfe visueller und grafischer Funktionen statt herkömmlicher textbasierter Programmiertechniken. Damit funktioniert die Erstellung neuer Apps nicht nur schneller, sondern auch einfacher. Das bedeutet: Es ist nicht mehr unbedingt ein IT-Experte oder IT-Expertin nötig, um eine App zu bauen. Auch qualifizierte Mitarbeitende aus dem Fachbereich können sich eine Anwendung aus Mustervorlagen selbst zusammenklicken und sie an eigene Wünsche anpassen. Dies wird oft als Citizen Development bezeichnet.

Damit handelt es sich nicht einfach nur um eine „weitere Plattform“. Vielmehr bildet sie einen wichtigen Baustein für die Agilisierung des Unternehmens. Denn mit einer Low-Code-Plattform lassen sich die Bedarfe dort erfüllen, wo sie entstehen – direkt beim Anforderer. Dies entlastet die IT, bringt Flexibilität und Schnelligkeit in die Fachbereiche und ist ein echter Hebel für die Innovationskraft des Unternehmens.

Nutzen für Mitarbeitende

Neben diesen allgemeinen Vorteilen für das Unternehmen erfahren aber auch die digitalen Mitarbeitenden aus ihrer Sicht einen ganz konkreten Nutzen. Engagierte Business User aus den Fachbereichen, die täglich die entsprechenden Prozesse durchführen, können nun ihre Anwendungen selbst gestalten. Schliesslich wissen sie am besten, wo die Probleme liegen und wie sie zu lösen sind.

Jene digitalen Gestalterinnen und Gestalter können sich ihre Apps dann 1:1 auf Mass schneidern. Dies erhöht die Akzeptanz der Lösungen, da Wünsche und Bedarfe direkt selbst erfüllt werden. Zudem lassen sich die Änderungen schnell umsetzen und die Vorteile sind gleich spürbar, im Gegensatz zu grossen Programmen. Auch Anpassungen und Optimierungen sind mit wenigen Klicks – ohne zahlreiche Meetings und Abstimmungen – durchgeführt. Die Aufwände für die Umsetzung einfacher Applikationen sinken somit sowohl für den Fachbereich als auch für die IT-Abteilung.

Nutzen für die IT

Die IT-Abteilung profitiert ebenfalls durch die Einführung einer Low-Code-Plattform. Wenn die Fachbereiche die Erstellung insb. kleiner Apps anfragen, liegt das Verhältnis zwischen Abstimmung und eigentlicher Entwicklung häufig bei 60 zu 40 Prozent oder noch schlechter. Ist die Fachabteilung selbst in der Lage, diese Apps zu erstellen, kann sich das IT-Team stärker auf das Wesentliche konzentrieren: den sicheren Betrieb der Plattform, Governance, Beratung und „Hard-Code-Entwicklung“.

Dies entlastet die IT-Abteilung, indem aufwandsintensive Abstimmungen zu Detail-Anforderungen wie den Klassikern „Farben“ und „Platzierung“ oder auch die Test-Aufwände direkt zum Anforderer verlagert werden. Entsprechend reduzieren sich Folgewünsche, Beschwerden und das damit verbundene Claims-Management – oder entfallen ganz.

Voraussetzungen für die Einführung von Citizen Development

Um eine solche Low-Code-Plattform und damit verbundene Citizen-Development-Services einzuführen, sind jedoch einige Anforderungen zu erfüllen. Diese betreffen weniger die technische als vielmehr die organisatorische Seite. So sind entsprechende Verantwortlichkeiten und Prozesse umzustellen oder anzupassen. Dabei sollten Unternehmen u. a. folgende Punkte beachten: 

Leitbild – Definition von Vision, Rollen und Umfang
  • Analyse der Ausgangssituation: Wie gross ist der Bedarf an Apps? Was sind die spezifischen Pain-Points? Womit kann der grösste Nutzen erzielt werden?
  • Definition von Personas: Wer darf ein „Anforderer“ sein? Welche Kompetenzen sind dafür nötig? Welche Verpflichtungen gehen damit einher?
  • Festlegen, für welche Anwendungsfälle Apps erstellt werden dürfen: Sollten zum Beispiel geschäftskritische Prozesse und der Produktivitätsbereich ausgeschlossen werden? Was ist mit Schnittstellen zu Drittsystemen oder sensiblen Daten?
  • Einbettung in die IT-Strategie: Welche Plattformen existieren bereits? Welche Low-Code-Plattform sollte eingeführt werden?
  • KPIs zur Steuerung definieren: Woran soll der Erfolg des Citizen Developments gemessen werden?
Governance – Regelwerk zur Absicherung der Plattform
  • Rollen festlegen: Welche Parteien sind beteiligt? Welche Verantwortlichkeiten haben IT und Fachabteilung? Gibt es ein Center of Excellence, das zum Beispiel Best Practices erkennt und unternehmensweit durchsetzt? 
  • Governance-Konzept erstellen: Datenverlust verhindern, Skalierbarkeit und Integrierbarkeit ermöglichen.
  • Operational Handbook: zur Sicherstellung des operativen Betriebs.
  • Monitoring: ein essenzieller Bestandteil, um den App-Wildwuchs zu vermeiden.
Plattform – homogene Tool-Landschaft bereitstellen
  • Geeignetes Toolset zur Verfügung stellen: Auf Basis des digitalen Arbeitsplatzes sollten integrierte Anwendungen und Plattformen genutzt werden, um die Prozesse zu unterstützen.
  • Anforderungen erfüllen: Das Toolset sollte schnell, flexibel, einfach, skalierbar, sicher und im Digital Workplace integriert sein.
Rollout vorbereiten – strukturierte Schritte zur Nutzengenerierung
  • Betriebsrat, Datenschutzbeauftragten und CSIO einbinden: Dieser Schritt sollte bereits sehr früh – bestenfalls im Rahmen des Leitbilds – angegangen und kontinuierlich aktualisiert werden.
  • IT-Demand-Prozesse: Viele Unternehmen leben bereits einen Anforderungs-Prozess. Die Low-Code-Plattform muss sich in diesen sauber integrieren. Daraus resultieren ggf. „Make or Buy“-Entscheidungen.
  • IT-Service-Management: Es muss zum Beispiel gewährleistet sein, dass Anwender sich bei Problemen an eine bestimmte Stelle wenden können, etwa den Service Desk.
Adoption & Change Management – grösstmöglichen Nutzen realisieren
  • Leuchttürme schaffen: Diese sollen den Mehrwert für Mitarbeitende, IT und Führungsebene greifbar bzw. erlebbar machen.
  • Ein Center of Excellence etablieren als „fachlicher Owner“ der Plattform.
  • Citizen Developer und/oder Power User ausbilden. Professionelle Developer direkt einbinden und einen transparenten Austausch fördern.
  • Eine Champions Community etablieren: Diese kann das Toolset optimal bedienen und sich selbst bereichern.

Mögliche Stolpersteine

Bei der Einführung von Low-Code-Plattformen werden häufig dieselben Fehler gemacht, die sich leicht vermeiden lassen. Wir starten immer mit einem Leitbild. Dieses kostet nicht viel Zeit und lässt sich als Arbeitshypothese in einem eintägigen Workshop erstellen. Darin wird auch der Nutzen der Plattform geschärft: Es ist wenig sinnvoll, nur für eine einzige Applikation eine ganze Low-Code-Plattform einzurichten. So führen wir auch oft Use-Case-Discovery Workshops oder Envisionings durch, um den Bedarf an Citizen Development festzustellen.

Wir erleben oft, dass die beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vergessen werden. Nur weil man PowerPoint hat, kann man noch lange keine guten Präsentationen erstellen. Hier agieren wir mit einem entsprechenden Change Management, um den Invest in die Plattform zu schützen und den Nutzen zu realisieren. In diesem Zuge eliminieren wir auch veraltete Annahmen, etwa dass nur die IT neue Apps entwickeln kann oder die Nutzer damit überfordert sind.

Ebenfalls beobachten wir auch häufig, dass Fachbereiche einfach unkontrolliert Anwendungen erstellen und dann Wildwuchs entsteht. Oder dass aus Prototypen Leuchtturm-Projekte werden, die in den Live-Betrieb übergehen. Ohne Regelwerk auf Meta-Ebene und ohne Integration in das IT-Service-Management „explodiert“ die Plattform. Oft sind nur wenige Handgriffe notwendig, mit denen wir gerne starten, um die Plattform abzusichern.

Business Apps

Fazit

Unternehmen sollten jetzt das Momentum der durch Corona befeuerten Digitalisierung nutzen. Mitarbeitende möchten praktische Apps einsetzen und gleichzeitig muss die IT Möglichkeiten schaffen, dass sich Anwenderinnen und Anwender selbst helfen. Eine Möglichkeit bietet ein Low-Code-Service, der sich mit etwas Projekterfahrung innerhalb weniger Tage erfolgreich einführen lässt – inklusive der nötigen Governance. Dabei fällt es Unternehmen oft schwer, ihren Mitarbeitenden den erforderlichen Vertrauensvorschuss zu geben. Aber dieser zahlt sich aus: in Form vieler digitaler Gestalterinnen und Gestalter, welche die Flexibilität und Produktivität des Unternehmens erhöhen.