20.01.2022

Technologie – Motor für die Super-Power KI

Künstliche Intelligenz klingt nach teuren Hochleistungsrechnern und komplexen Algorithmen. Doch mit den richtigen Daten und Technologien ist der Einstieg gar nicht so schwer. Vor allem, wenn man mit einfachen Use Cases und Plattformen erste Erfahrungen sammelt. 

Sabrina möchte als Produktionsleiterin die häufigen Unfälle in den Gängen ihrer Fabrik verhindern. Dazu lässt sie Kameras aufhängen, die zeigen, ob ein Objekt im Weg liegt. Ein automatisches System soll die jeweilige Schichtleitung mit einem Alarmton und einer roten Leuchte warnen, um Personalaufwand zu vermeiden. Die Aufgabe klingt einfach, doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. Denn sie muss klären: 

  • Welche Technologien eignen sich und welche stehen über die IT zur Verfügung und decken den Bedarf für diesen Use Case ab? 
  • Wie ist die Lösung zu integrieren, um einen Mehrwert aus dem KI-Use-Case zu ziehen und die Daten mit dem Warnsystem zu verknüpfen? 
  • Welche Daten sind nötig, damit das KI-System im Weg liegende Objekte von mobilen Transportfahrzeugen oder Menschen unterscheiden kann?

Die richtige Technologie für den Use Case

Um die richtige Technologie für ihren Use Case zu finden, sollten Unternehmen die Applikationsanforderungen anhand von zwei Kategorien bewerten: verfügbare Expertise und Customizing-Optionen. Im Folgenden werden vier Komplexitätsgrade vorgestellt, die bei der Auswahl der richtigen Technologien helfen. 

Komplexitätsgrad 1 – Integrierte Plattformkomponenten

Je nachdem, welche Citizen-Development-Plattform für die Applikationen und Workflows zum Einsatz kommt, stehen verschiedene vorgefertigte und vortrainierte KI-Lösungen zur Verfügung. Dazu zählen zum Beispiel der AI Builder auf der Power-Plattform oder Cognitive-Services-Schnittstellen in Power BI. Diese Schnittstellen befähigen Anwenderinnen und Anwender („Citizen Developer“), mit wenigen Klicks wertvolle Applikationen mit KI-Bestandteilen zu erstellen. Hiermit lassen sich etwa Formularscanner gestalten, die per Handykamera Informationen auslesen oder Textbestandteile übersetzen.  

Über diese Ansätze kann Sabrina bereits einen ersten Proof of Concept des Use Case realisieren, um mögliche Hindernisse einer vollständigen Lösung zu erkennen.  

Komplexitätsgrad 2 – Out of the Box Services

Bei der Anwendungsentwicklung können auch plattformexterne Services eingebunden werden. Sie sind zum Beispiel für einen bestimmten Anwendungsbereich vortrainiert oder ihre Datenverarbeitung skaliert bei einer grossen Anfragemenge besser. Diese Services stehen von namenhaften Cloud-Anbietern wie Microsoft in Form der Azure Applied AI Services zur Verfügung. Unternehmen können aber auch Schnittstellen von Open AI mit ihrem grossen Sprachmodell GPT-3 nutzen. Wichtig ist hier, dass diese Schnittstellen ausserhalb der eigentlichen Anwendungsplattform liegen und dadurch professionelle Entwicklerinnen und Entwickler (Pro Devs) notwendig sind. Vor allem bei umfangreicher Nutzung, zum Beispiel mehreren tausend Aufrufen täglich, ist dies in einer frühen Phase des Applikationsdesigns zu berücksichtigen. Zudem ist zu klären, ob Task-spezifische Aufgaben durch die KI erledigt werden sollen.  

In Sabrinas Anwendungsfall ist der Datenfluss durch einen kontinuierlichen Datenstrom extrem hoch. Zusätzlich hängen die zu verarbeitenden Videos von den einzelnen Kameras ab. Daher sind hier Modelle für die jeweiligen Kameras und eine Überprüfung der Verarbeitungsqualität der Datenmenge zu evaluieren. 

Komplexitätsgrad 3 – Low Code/No Code selbst-gelernte Machine-Learning-Modelle

In den Komplexitätsstufen 1 und 2 stehen die Anwendungsentwicklung und die Nutzung von bereitgestellten Technologien und Services im Vordergrund. Sollte die Genauigkeit der KI-Lösungen nicht ausreichend sein, müssen sich Unternehmen mit der eigenen Entwicklung einer KI- (oder Machine-Learning-) Lösung auseinandersetzen. Hier bieten Cloud-Provider über integrierte Plattformen die Möglichkeit, mit wenig Code- und mathematischem Vorwissen leistungsfähige Anwendungen zu erstellen, die auf den Use Case zugeschnitten sind. Dennoch ist es notwendig, neben Pro Devs für die Anwendungsentwicklung einen Data Engineer einzubinden. Dieser entwickelt auf einer Plattform wie Azure Machine Learning Services von Microsoft entweder über die Drag & Drop Features des ML Studios oder über die Auto-ML-Fähigkeiten ein nutzbares Machine-Learning-Modell. Auch Plattformen wie Power BI bieten über Data Flows die Möglichkeit, Machine-Learning-Modelle oder Auto-ML-Lösungen zu integrieren. In der Regel werden diese Services eingesetzt, wenn Daten bereits in einer integrierbaren Umgebung wie einem Data Lake oder Data Warehouse zur Verfügung stehen. Dann lassen sich schnell unternehmensspezifische Vorhersagemodelle – etwa für Umsatzvorhersagen oder Ausfallzeiten von Maschinen – erstellen und in Applikationen integrieren. 

In Sabrinas Use Case bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, passgenaue Modelle zu entwickeln, die den Hintergrund bei bestimmten Kameras berücksichtigen. Ein Proof of Concept dient zum Testen und Evaluieren der Applikation unter realen Bedingungen. So lassen sich Herausforderungen für ein produktives Deployment dieser Lösung identifizieren, die in einer Custom Data Pipeline adressiert werden. 

Komplexitätsgrad 4 – Custom Data Pipelines mit Machine-Learning-Modellen

Eine Implementierung in Komplexitätsstufe 3 ermöglicht das Verständnis der Genauigkeit der Vorhersage unter realen Bedingungen. Dies kann zu neuen Erkenntnissen, wie unzureichender Datenverarbeitung, führen oder dass die KI-Lösung mit ihren Vorhersagen häufiger daneben liegt als gefordert. In diesem Fall sind neben Pro Devs und Data Engineers auch Data Scientists in die Applikationsentwicklung einzubinden. So sollten Unternehmen eine Plattform wählen, die sowohl eine effiziente Zusammenarbeit als auch Flexibilität und Experimente ermöglicht. Moderne Plattformen sind genau auf diese Aufgaben ausgerichtet. Hierfür eignen sich vor allem Azure Synapse Analytics und Azure Databricks, aber auch Azure Machine Learning Services bieten viele hilfreiche Komponenten. Diese Plattformen kommen vor allem in zwei Fällen in Frage:  

  1. Wenn dieselbe Datenquelle für mehrere KI-Use-Cases genutzt werden soll, zum Beispiel beim Einsatz von Produktionsdaten für ein Management Reporting und für Predictive Maintenance. 
  2. Wenn Daten in einem sehr rohen Zustand sind und entsprechend für eine KI-Anwendung vorverarbeitet werden müssen, etwa bei der Nutzung von Produktionsdaten unterschiedlicher Maschinen, die zu harmonisieren und mit gemeinsamen Schlüsseln zu verknüpfen sind. 

In Sabrinas Use Case wird eine Implementierung auf der Komplexitätsstufe 4 mittelfristig notwendig sein, um die Effizienz der KI-Lösungen für die einzelnen Kameras zu optimieren. Dies kann der Fall sein, wenn das Gefahrenpotenzial der identifizierten Objekte in die Entscheidung zum Auslösen der Signalleuchte einfliessen soll. 

Die Technologie integrieren

Wer sich mit KI-Technologie auseinandersetzt, darf jedoch den wichtigen Aspekt der Schnittstellen nicht ausser Acht lassen. Diese sind sogar der Schlüssel zum Erfolg. Denn Technologie und Daten allein erzielen keinen Mehrwert. Sie müssen dazu für die richtigen Use Cases eingesetzt und mit den passenden Prozessen in die Organisation integriert werden. 

Daher ist zu klären, wie sich die Technologien mit Anwendungen und Abläufen verknüpfen lassen, damit der Gesamtprozess sauber läuft. So müssen die von der KI erzeugten Daten in der Regel von anderen Systemen genutzt werden, etwa CRM- oder Marketing-Lösungen. Dabei bietet sich oft Azure als Plattform an, da sich die KI-Lösungen reibungslos in Teams, Office oder andere Microsoft Anwendungen integrieren lassen. 

Im oben genannten Beispiel bedeutet das die Verknüpfung der Objekterkennung mit dem Warnsystem für die Schichtleiterin. Hier muss die von der KI errechnete höchste Warnstufe zum Anschalten der roten Leuchte und der Aktivierung eines Warntons führen. Um dies zu erreichen, ist die Kompatibilität der beiden Systeme zu prüfen. 

Zudem muss der Use Case in die organisatorischen Prozesse eingebettet werden. Es ist festzulegen, welche Aktionen die Schichtleiterin durchführen soll, um das im Weg liegende Objekt zu entfernen. Erledigt sie das selbst oder gibt sie die Aufgabe an einen Sicherheitsbeauftragten weiter? Ist ein Protokolleintrag nötig oder eine Information an die Geschäftsleitung? 

Diese Fragen können wiederum zu weiteren Prozessen führen. Falls etwa in einem Gang besonders häufig Objekte im Weg liegen, sind eventuell die Produktionsprozesse umzustellen oder Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um solche Gefährdungen zu vermeiden. Menschliche Fehler erfordern bei Bedarf Schulungen, die den Umgang mit Materialien oder Werkzeugen verbessern. 

Eine Datenstrategie ist nötig

KI-Lösungen benötigen ausserdem eine zuverlässige und korrekte Datenbasis, damit sie die richtigen Ergebnisse liefern. Dazu sollten Unternehmen eine umfassende Datenstrategie entwickeln. Sie dient dazu, den gewünschten Zielzustand der Organisation und der IT-Plattform zu erreichen sowie einen Fahrplan mit entsprechenden Leitplanken vorzugeben. Wie dies funktioniert, erklärt Teil 2 dieser Artikelserie.

Schneller zum Erfolg

Die IT schafft die Voraussetzungen für den schnellen Erfolg der Abteilungen. Dafür ist es nötig, passende Lizenzvereinbarungen zu schaffen mithilfe von Technologien, welche die Integrität zwischen den Tools optimieren. Unterstützt durch Governance-Regeln und Best Practices, kann Sabrina rasch mit der Umsetzung starten, in einem Rahmen, der eine produktive Nutzung der Lösung am Ende auch zusichert. 

Allein hätte Sabrina diese vorbereitenden Schritte unmöglich schaffen können. Denn sie erfordern grösstenteils strategische Entscheidungen des Unternehmens. Sind diese erst getroffen, kann Sabrina schnell ihren kleinen Use Case umsetzen. Sie weiss, welche Technologien verfügbar sind, wie sie diese einsetzen kann und was sie dabei beachten muss. Auf Komplexitätsstufe 2 kann sie erste Modelle evaluieren, auf Stufe 3 einen realistischen Proof of Concept durchführen und auf Stufe 4 die Lösung implementieren, damit in den Gängen ihrer Fabrik deutlich weniger Unfälle geschehen. 

Fazit

Unternehmen sollten sich jetzt mit den Fragen zu IT-Technologien auseinandersetzen, das heisst, eine Datenbasis erstellen und Datenstrategie entwickeln sowie relevante Use Cases für den Einsatz von KI definieren und diese in Unternehmensprozesse einbinden. Ausserdem gilt es, Experten in alle Entwicklungsschritte einzubeziehen und gegebenenfalls Schulungen durchzuführen. 

Dann können sie bereits im Vorfeld die richtigen Prozesse und Lizenzen bieten, bevor Anfragen wie von Sabrina kommen. Denn eines ist klar: KI wird immer wichtiger und ihr breiter Einsatz steht kurz bevor. So muss die IT eine aktive Rolle übernehmen, um Enabler digitaler, daten-getriebener Lösungen zu sein. Denn Technologien sind der Motor für die Super-Power KI.

Autoren

Ingo Meironke

Innovation Manager & Co-Lead Future Operations

Trutz-Sebastian Stephani

Senior Manager | Head of Data & AI

Ramón Roales-Welsch

Business Lead Data & AI